Im Mutterland des Fußballs wurde vor einigen Jahren erkannt, dass die eigenen Jugendausbildung nicht mehr zeitgemäß ist und qualitativ zu wenig Output bietet. Zusätzlich wurden die Premier League und die zweitklassige Championship vor allem durch neue TV-Deals immer finanzstärker, sodass die Vereine nahezu sorgenfrei auf dem internationalen Transfermarkt wüten konnten. Kurz gesagt: die Jugendspieler waren zu schwach um sich gegen teure Legionäre durchzusetzen. Spieler, die für England spielberechtig waren, erreichten in der Saison 2013/14 nur mehr 32 Prozent an Spielzeit. Rund zwanzig Jahre zuvor, waren es noch knapp 70 Prozent gewesen. Dieser Umstand wurde erkannt und ebenso, dass es einer kleinen Revolution bedarf, wenn man international nicht (noch weiter) den Anschluss verlieren möchte. Bereits 2012 wurde der Elite Player Performance Plan (EPPP) ins Leben gerufen und bei einer Abstimmung von den Englischen Profivereinen abgesegnet. Der EPPP enthält verschiedenste Ausbildungskriterien, von Trainingsgestaltung angefangen, über Coachingstil der Trainer, bis hin zur Wettbewerbsformen für den Spieltag von den ganz Kleinen bis hin zum Academylevel. Sieht man sich das Niveau der englischen Spieler an, trägt das Früchte. Nach dem Weltmeistertitel 1966 im eigenen Land ist es auch an der Zeit, dass die große Fußballnation wieder einen Titel erreicht. Es gibt viele Gründe, warum die EM 2024 das Turnier der Engländer wird ? oder eben nicht?
Es ist alles angerichtet: Der teuerste Kader der ganzen Europameisterschaft. Spieler von absoluten Top-Teams und der wahrscheinlich besten Liga der Welt. Eine gute Mischung aus jung und alt. Ein Hunger nach großen Titeln und die Sehnsucht, den positiv verrückten Fans einen Erfolg zu bescheren. Es wird das Turnier der Three Lions werden, da gibt es keine zwei Meinungen, wenn man den Kader sieht: Abwehrchef John Stones spielt seit Jahrem auf höchstem Niveau und bezeugte in der jüngsten Vergangenheit, dass er in der neuen Spielanlage von Manchester City nicht nur als Innenverteidiger reüssieren kann, sondern wesentlich flexibler ist. Mit Kyle Walker und Kieran Trippier sind zwei körperlich robuste Außenverteidiger am Werk, die sich ebenso seit Jahren auf allerhöchstem Niveu beweisen. Das Prunkstück der Engländer beginnt aber vor der Abwehr. Trent Alexander-Arnold hat in der laufenden Saison bewiesen, dass er nicht nur einer der weltweit besten Rechtsverteidiger ist, sondern auch als Spielmacher im Mittelfeldzentrum seine Qalitäten hat. Declan Rice ist nach seinem Wechsel innerhalb Londons von Westham zum FC Arsenal zu einem der besten Sechser gereift und hat mit überragenden Leistungen überzeugt. Die offensive Dreierreihe glänzt mit Bukayo Saka, der mit seinem Tempo und seinen Dribblings immer für Gefahr und entscheidende Situationen sorgen kann. Im Zentrum und auf der linken Seite können die Three Lions die beiden aktuellen Top-Favoriten auf den diesjährigen Ballon d?Or aufbieten: Phil Foden führte Manchester City mit 19 Toren und 8 Vorlagen zum Titel in der Premier League und kann wettbewerbsübergreifend 39 Saison-Scorerpunkte vorweisen. Jude Bellinghams Entwicklung bewahrheitete sich nach dem Transfer von Borussia Dortmund zu Real Madrid als wahrlich königlich. 23 Tore und 13 Vorlagen sprechen Bände. Zum Drüberstreuen agiert im Sturmzentrum noch einer der besten Torjäger der letzten Jahre. Bester Torschütze der englischen Nationalmannschaft, aktueller Torschützenkönig der deutschen Bundesliga und der Champions League, dazu dreifacher Torschützenkönig der Premier League und eine unfassbare Bilanz von 340 Toren in 545 Profispielen. Wer soll diese Mannschaft aufhalten?
Ja, die Engländer haben den teuersten Kader. Ja, die Engländer haben viele gute Einzelspieler. Aber nein, die Three Lions werden den Titel nicht holen. Warum? Weil sie ganz einfach nicht die beste Mannschaft der Europameisterschaft sind und das haben Sie in der Gruppenphase eindrucksvoll bewiesen. Zwei erzielte Tore und nur ein Sieg gegen schwächelnde Serben ? das ist zu wenig. Schon beim letzten Spiel vor der Europameisterschaft, hat man bei der 0:1-Niederlage gegen Island gesehen, dass die Engländer nicht funktionieren. Womöglich liegt es daran, dass nach der Nicht-Nominierung von Marcus Rashford, Jack Grealish und dem langjährigen Ersatz-Kapitän Harry Maguire, das Teamgefüge durcheinander gebracht worden ist. Vielleicht liegt es auch daran, dass die Engländer mit Jordan Pickford zwar einen Torhüter haben, der auch mal vermeintlich unhaltbare Bälle hält, zu oft aber absolut haltbare Tore kassiert. Damit strahlt er nicht die nötige Ruhe aus um sein Team zu stärken. Mit ziemlicher Sicherheit liegt es aber daran, dass es Teamchef Gareth Southgate seit Jahren nicht schafft, die zweifellos vorhandene Einzelqualität in einen passenden, mannschaftlichen Spielstiel zu verpacken. Die geballte offensive Power wird gezügelt und mit destruktiver Spielweise überschattet. In einigen Spielen reicht dann zwar wiederum eine einzige Situation, in der die Qualität eines Spielers den Ausschlag gibt und den Sieg einbringen kann, auf Dauer wird das in der K.O.-Phase aber nicht genügen. Da hätte Southgate nicht auf die individuelle Qualität von Rashford oder Grealish verzichten dürfen um mehr Spieler im Kader zu haben, die einzelne Partien selbst entscheiden können. Aber auch dann wäre der Weg ins Finale oder gar zum Titelgewinn ein äußerst schwieriger gewesen, wenn bei den drei festgebundenen Löwen die Zügel nicht gekappt werden?